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Subjektive Verfahren

Es besteht Einigkeit darüber, dass die Erfassung der Angst erwachsener Patienten vor und in der zahnärztlichen Situation am besten über Selbstbeurteilungsverfahren erfolgen sollte, da die Validität und die Reliabiltät von Fragebögen sehr hoch ist (Corah 1969, Ingersoll 1987).

Verschiedene Untersuchungen belegen allerdings, dass die Frage nach der Zahnbehandlungsangst gerade von Männern nicht ehrlich beantwortet wird, weil sie sich ihrer schämen. Entsprechend ihrer sozialen Rolle neigen Personen in Untersuchungen subjektiver-verbaler Angstindikatoren dazu, eine sozial erwünschte Antwort zu geben, was dazu führen kann, dass der Behandler die Angst seines Gegenübers unterschätzt (Glanzmann 1989).

Ein weiteres Problem der subjektiven Psychometrie besteht in der Tendenz der Befragten zur Aquieszenz, der Neigung auf unterschiedliche Fragen grundsätzlich zustimmend zu antworten.

Es ist daher wichtig, wie z.B. beim State Trait Anxiety Inventory (Spielberger 1972), die gleiche Anzahl von Fragen in Richtung Angst oder Anspannung wie in Richtung Wohlbefinden und Entspannung zu stellen. Dieser STAI von Spielberger stellt einen der wenigen Angstfragebögen dar, der auch in der deutschen Version standardisiert und überprüft wurde (Laux, Glanzmann und Spielberger 1981).

Er wird zur Erfassung von zwei durch Spielberger et al. (1972) unterschiedlich definierte Angstformen eingesetzt. Dementsprechend besteht dieser Fragebogen aus zwei getrennt auszuwertenden Anteilen: Einem Fragebogen zur Erfassung der sich kurzfristig ändernden Zustandsangst (State anxiety) und einem Bogen zur Erhebung der überdauernden Eigenschaftsangst (Trait anxiety), die als relativ stabile Persönlichkeitseigenschaft definiert ist.

Letztere geht mit der Disposition einher, eine Vielzahl von Situationen als Angst auslösend zu erleben. In der Zahnmedizin wird vor allem der State anxiety Fragebogen verwendet, weil mit seiner Hilfe vor allem die Zustandsangst in einer bestimmten Situation und auch die Veränderung des Angstausmaßes nach verschiedenen Interventionen erfasst werden kann.

ie in der Zahnmedizin jedoch am häufigsten eingesetzte Angstskala stellt die Dental anxiety scale nach Corah (DAS, Corah,1969) dar. Sie besteht aus nur vier Fragen, mit denen der Patient gebeten wird, sich in Situationen zu versetzen und anzugeben, wie ängstlich er sich bei der Vorstellung der Situation fühlt.

Pro Frage sind fünf verschiedene Angstausprägungen möglich. Errechnet wird ein Gesamtscore der entsprechend des Angstmaßes von 4-20 Zählern reicht. Die befragten Patienten können so in drei Gruppen von wenig ängstlich (< 13), mittelmäßig ängstlich (13-14) und hoch ängstlich unterteilt werden. Auch dieser Fragebogen wurde zwar ins Deutsche übersetzt, es liegen jedoch keine Untersuchungen zur Reliabilität und Validität dieser übersetzten Angstscala vor.

Darüber hinaus enthält der Fragebogen keine Informationen, wovor sich der Patient am meisten fürchtet. Aus eigener Erfahrung ist es durchaus möglich, dass der eine Patient aufgrund schlechter Erfahrungen nur Angst vor der Entfernung von Zahnstein, der andere nur Angst vor der Anästhesie hat. Diese Information ist jedoch für die Therapieplanung sehr wichtig.

Aus diesem Grund entwickelte unsere Arbeitsgruppe einen neuen Fragebogen, der auf der Dental anxiety scale von Corah aufbaut und darüber hinaus sechs verschiedene Behandlungssituationen enthält, die aus der Angsthierarchie einer Untersuchung von Gale (1971) übernommen wurden und die am meisten angstauslösenden Situationen bei der Patientenbehandlung darstellen.

Der neue hierarchische Angstfragebogen (HAF) besteht aus 11 Fragen, die jeweils mit fünf verschiedenen Angstausprägungen beantwortet werden können („überhaupt nicht ängstlich“ bis „krank vor Angst“) (Jöhren 1999, StiftungWarentest 1999). Dementsprechend ist ein Score von 11-55 Punkten möglich.

Anhand einer Untersuchung an 199 Probanden wurde der Fragebogen validiert und auf seine Reliabilität hin überprüft. Es ergab sich eine hohe Korrelation zur DAS von Corah mit einem Korrelationskoeffizienten von O,88 und eine gute Korrelation zum STAI mit einem Koeffizienten von 0,66.

Entsprechend der DAS können auch mit dem HAF die Patienten in drei unterschiedlich ängstliche Gruppen eingeteilt werden:

Einteilung der Patienten entsprechend ihrer Zahnbehandlungsangst mit dem Hierarchischen Angstfragebogen (HAF, Jöhren 1999)


Gruppe 1

  • (Niedrig ängstlich)
  • bis 30 Punkte

Gruppe 2

  • (Mittelmäßig ängstlich)
  • von 31 bis 38 Punkten

Gruppe 3

  • (Hoch ängstlich)
  • über 38 Punkten

Im Rahmen einer Untersuchung unserer Arbeitsgruppe an 91 Patienten, die unter einer Zahnbehandlungsphobie litten, konnte darüber hinaus festgestellt werden, dass ein Angstscore von über 38, gemessen mit der HAF, oder von über 16, gemessen mit der DAS und eine Vermeidung des Zahnarztbesuches in den letzten Jahren einen deutlichen Hinweis für das Vorliegen einer Phobie darstellen. Auch eine fehlende Sanierung und vermehrte Extraktionen in der Vergangenheit (meistens unter Allgemeinanästhesie) können ebenfalls für das Vorliegen einer Angsterkrankung sprechen.

Für das klinische Vorgehen ist es daher sinnvoll, den Patienten bei seiner ersten Vorstellung in der Praxis darüber aufzuklären, dass die normale Zahnbehandlungsangst von einer krankhaften Angst, der Zahnbehandlungsphobie, abzugrenzen ist. Für beide Formen gibt es verschiedene Behandlungsmöglichkeiten, die auch über die zahnärztliche Therapie hinaus beim Umgang mit der Angst helfen können.

Gerade bei Patienten mit akuten Schmerzen, die häufig besonders ängstlich sind, ist dieses Vorgehen nützlich, da sie sich oft nur nach langer Überzeugungsarbeit behandeln lassen. Mit einem Informationsblatt wird der Patient gebeten anzugeben, ob er Angst vor der Zahnbehandlung hat oder nicht. Wird diese Frage bejaht, sollte ihm ein Angstfragebogen vorgelegt werden, dessen Informationen die Grundlage für das erste Patientengespräch darstellen.

Die zahnärztliche Diagnostik von normaler Angst und Angsterkrankung (Phobie) basiert also vor allem auf subjektiv verbalen Verfahren, die mit Mundbefunden korreliert werden können.

Demzufolge ist gerade die Differentialdiagnostik von Angst und Phobie ein wichtiger Bestandteil der psychologischen Kompetenz und Fähigkeit zur individuellen Patientenführung in der Komplexität von subjektiven und objektiven Befunden. Dieser psychosomatische Zusammenhang spricht auch in der Zahn-, Mund- und Kieferheilkunde eine ganz entscheidende Rolle und bestimmt die Compliance von Patienten sowohl hinsichtlich präventiver als auch kurativer Betreuung.